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Bundeskanzler Olaf Scholz ehrt Elternnetzwerk Magersucht e.V.: Der Verein Elternnetzwerk Magersucht aus Köln hat einen der sieben Geldpreise des startsocial-Wettbewerbs 2021/2022 gewonnen. Laudatorin und ProSiebenSat1-Vorstand Christine Scheffler würdigte das vorbildliche Engagement im Rahmen einer 24/7-Notfallbetreuung für betroffene Eltern.

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Wie der Maudsley Ansatz nach Finnland kam - Ein Treffen mit Reita Nyberg

Ich bin aufgeregt, ich zoome in einer halben Stunde mit einer Pionierin. Die in den letzten Jahren den New Maudsley Ansatz in Finnland populär gemacht. Die vielen Eltern neue Perspektiven und Wege aufgezeigt. Die vielen erkrankten jungen Menschen ein lebenswertes Leben zurückgegeben hat.

Als der Bildschirm flackert und Reita erscheint bin ich sofort berührt. Eine ruhige Frau mittleren Alters, deren Augen blitzen, als sie beginnt zu erzählen. Die sich freut, zu hören, dass sich auch im deutschsprachigen Raum endlich etwas zum Guten bewegt.

Reita Nyberg wurde aus einem traurigen Anlass zu einer Pionierin: eine ihrer Töchter erkrankte im Alter von 14 Jahren an Anorexia nervosa.

Ihr Leben, und das ihrer ganzen Familie änderte sich quasi über Nacht. Die Essstörung wurde zu einer Krankheit der ganzen Familie. Sie selbst beschreibt sich in dieser Zeit als erschöpft, sie schaffte es aber, ihr eigenes Verhalten und die Art, wie sie mit ihrer Tochter sprach, zu ändern. Sie erzählt mir, wie es ihr damals ging: "Ich fühlte mich krank, das Familienleben war die Hölle – Niemand sagte mir, wie ich mein Kind unterstützen sollte.". Schnell kommen wir uns im Gespräch nahe, uns ging es damals genauso, als die Essstörung drohte, das Leben meiner Tochter und unsere ganze Familie zu zerstören.

Reita hat damals begonnen um ihre Tochter zu kämpfen. Sie erkannte schnell, dass die konventionellen Behandlungsansätze nicht überzeugend sind und keine guten Heilungschancen für ihr Kind bieten.

Zuerst musste sie aber die gleiche Erfahrung machen, wie wir und viele andere Eltern hierzulande: gute Behandlungsansätze - nirgends zu finden, Ärzte und Kliniken, die nach evidenzbasierten Methoden schnell und erfolgreich vorgehen - nicht vorhanden. In Finnland sind den Statisken nach Essstörungen noch weiter verbreitet als bei uns.

Reita ist Ärztin. Reita ist es gewohnt, dass Behandlungskonzepte und Medikation auf Grundlage moderner internationaler Forschungsergebnisse stattfinden. Reita ist Fachärztin für Gynäkologische Onkologie an der Universitätsklinik in Tampere, einer der größten Städte in Finnland. Sie war damals sehr verwundert, dass die Behandlung von Essstörungen eher auf Erfahrungswerten und veralteten psychotherapeutischen Konzepten beruhen, die die Schuld bei den Eltern, im speziellen bei den Müttern suchen.

Sie begann mit ihrer medizinischen Routine selbst nachzuforschen und war mehr als verblüfft: sie stieß schnell auf den Maudsley-Ansatz und auf Autorinnen wie Janet Treasure und Harriet Brown. Sie lernte, dass es Wege gibt, seinem Kind das Nicht-Essen in aller Liebe und Konsequenz trotz der Krankheit unmöglich zu machen. Sie lernte, dass es Wege gibt aus der Magersucht und nicht nur Hilflosigkeit, Verzweiflung und viel zu oft auch Tod.

Das Wunder geschah. Der Zustand von Reitas Tochter begann sich mit der schnellen Wiederherstellung des Gewichtes, der Grundlage aller familienbasierten Behandlungsansätze, zu stabilisieren und zu verbessern.

Nachdem ihr Kind auf dem Weg zur Genesung war und das Leben ihrer Familie langsam wieder in normalen Bahnen lief, ließ Reita eines nicht mehr los: so viele junge Menschen in ihrem Land, die keine adäquate Behandlung erhalten, deren Eltern nicht erfahren, wie sie ihrem Kind gezielt helfen können.

Ungläubig lausche ich ihr, was dann in den Jahren danach geschah. Reita und alle ihre Mitstreiter*innen haben es geschafft, dass familienbasierte Behandlungsansätze, im speziellen der New Maudsley Ansatz, bei Essstörungen in Finnland inzwischen allgemein bekannt sind und ihren Weg zu Eltern, Ärzten, Beratungsstellen, Selbsthilfeorganisationen, Kliniken gefunden haben. Keine ambulante Behandlung kann so intensiv sein, wie die Pflege von Angehörigen zu Hause rund um die Uhr. Deshalb sollte die Gesellschaft mehr Eltern von Menschen mit Essstörungen unterstützen, das wurde das Credo von Reita Nyberg.

Im Jahr 2014 startete Reita zusammen mit einer anderen Mutter eine Facebook-Selbsthilfegruppe, in der sie und andere Eltern dabei helfen, ihrem Kind zu helfen. Zurzeit hat die Gruppe mehr als 870 Mitglieder. Gleichzeitig begann sie, in einem Blog über ihre Erfahrungen mit der Maudsley-Methode bei ihrer Tochter zu schreiben (https://maudsleyperheet.blogspot.com). Sie erkannte schnell, dass Eltern und Fachleute viele neue Fähigkeiten schnell und einfach erlernen müssen. Sie begann, Vorträge zu halten, Online-Kursmaterialien zu entwickeln und Hunderten von Eltern zu helfen.

Schnell wurde alles professioneller. 2016 wurde sie Mitbegründerin eines Unternehmens namens LivingSkills Ltd. Im Jahr 2017 begann sie damit, Schulungen für Fachleute über Essstörungen und die Einbeziehung von Eltern und Familien in die Behandlung anzubieten. Gleichzeitig begann Reita mit der Entwicklung eines Schulungsprogramms für Eltern von essgestörten Kindern. Während der Pandemie hat LivingSkills die Live-Schulungen schnell auf Online-Kurse umgestellt. Diese Online-Kurse für Fachleute dauern etwa 3 Monate mit wöchentlichem Online-Coaching und werden von Experten geleitet. Für Eltern besteht das Kompetenztraining aus vier Webinaren, außerdem erhalten sie schriftliches Material und haben die Möglichkeit, Fragen zu stellen und Kommentare abzugeben. Die Kurskosten für Eltern werden inzwischen von gemeinnützigen Organisationen übernommen und sind allgemein anerkannt. Der Ansatz ist stark ressourcen- und motivationsorientiert und bindet den erkrankten jungen Menschen nach der Gewichtswiederherstellung und einer Hirnheilungsphase beim Übergang in ein "normales Leben" stark ein. Das Konzept wurde über die Jahre auch für andere Krankheitsbilder weiterentwickelt.

2017 wurde Reita dann Vorstandsmitglied der Eating Disorder Association of Finland (Vereinigung für Essstörungen in Finnland). Die Eating Disorder Association of Finland vertritt Menschen, die an Essstörungen leiden, sowie deren Angehörige und Freunde. Sie setzt sich seither dafür ein, das Wissen und das Verständnis über Essstörungen auf der Grundlage von Erfahrungen zu erweitern und die Behandlung und Rehabilitation von Patienten mit Essstörungen zu verbessern und voranzutreiben.

Die Zeit ist leider viel zu schnell um, wir vereinbaren, in Kontakt zu bleiben und hier in unserem Blog in loser Folge interessante Neuigkeiten über den Stand der familienbasierten Behandlungsmethoden und des New Maudsley Approach in Finnland zu erfahren. Ebenso bekomme ich die Zusage, bald einen Einblick in die Eltern-Online-Kurse und andere Online-Tools zu bekommen, die ihre Firma LivingSkills in naher Zukunft auch in Deutschland für Eltern und Therapeuten anbieten will.

Bis bald wieder, Reita 😉

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